Die Krise in der Türkei

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Die Türkei in der Krise Noch bevor die türkischen Behörden den außerordentlichen Schritt unternahmen, einen Sieg der Opposition bei den Bürgermeisterwahlen von Istanbul, wegen angeblichen Unregelmäßigkeiten zu annullieren, hatte die Regierung unter Präsident Recep Erdogan Milliarden Dollar investiert, um die Leitwährung zu stützen und damit auch seine Kandidaten vor den Wahlen den Rücken zu stärken.

Doch der letzte radikale Schritt Erdogans seine Macht zu erhalten, hat nun auch das Vertrauen der letzten Investoren in die wirtschaftliche Stabilität der Türkei erschüttert. Und so werden die finanziellen Anstrengungen um die nachlassende Aura der türkischen Lira und damit auch die Unbesiegbarkeit Recep Erdogans zu beweisen ab nun mit jedem Tag kostspieliger.

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Präsident seit 18 Jahren an der Macht

Recep Erdogan ist nun seit 18 Jahren an der Macht und wurde im vergangenen Jahr – mit erheblich erweiterten Befugnissen – für weitere fünf Jahre in seinem Amt bestätigt. Innerhalb seiner Amtszeit hat er bürgerliche Freiheiten beschränkt, einen zivilen Protest um den Abriss des beliebten Gezi-Parks gewaltsam niederschlagen lassen, nach einem gescheiterten Staatsstreich zehntausende politische Gegner aus öffentlichen Ämtern entfernen und teilweise einkerkern lassen und letztlich auch die freie Presse mit Verhaftungen und Büroschließungen terrorisiert.

Darüber hinaus hat der Präsident allerdings auch das Management (kritische Stimmen sagen auch das „Mirmanagement“) der türkischen Wirtschaft übernommen. Vor allem um das ungebrochene Wachstum aufrecht zu erhalten, welches ihm seine große und ebenso treue Anhängerschaft sichert.

Für viele Türken und ausländische Investoren sind die Ausgaben zur Stützung der Lira das jüngste Beispiel dafür, dass Präsident Erdogan sein politisches und persönliches Vermächtnis aufs Spiel setzt, um ja die Kontrolle über Istanbul, die wichtigste Basis seiner Macht, zurückzugewinnen.

Doch selbst wenn die Regierung eine Wirtschaftskrise vor den für den 23. Juni geplanten Neuwahlen abwehren kann, befürchten viele, dass die ständig hohen Ausgaben zur Stützung der Währung die Wahrscheinlichkeit eines ökonomischen Zusammenbruchs der Türkei quasi täglich erhöhen. Und das dann ausgelöste Beben könnte weit über den Bosporus hinaus zu spüren sein. Immerhin besitzen europäische Banken türkische Schuldscheine in Milliardenhöhe.

Türkische Lira verliert innerhalb weniger Tagen 30 Prozent ihres Wertes

Noch einmal zur Erinnerung: im vergangenen Jahr hatte die türkische Lira innerhalb von wenigen Tagen 30 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Der Prozess setzte sich auch 2019 fort. In diesem Jahr verlor die Lira weitere 15 Prozent ihres Wertes. Und der Verlust der Bürgermeisterwahlen in Istanbul ist das deutlichste Zeichen, dass die drohende Wirtschaftskrise zunehmend Recep Erdogan und seiner Partie für Gerechtigkeit und Entwicklung (A.K.P.) angelastet wird.

Schon vor der Niederlage in Istanbul hatte der Präsident den Staatshaushalt, die Zentralbank und die von der Regierung kontrollierten Banken benutzt, um die Währung zu verteidigen, einer Kreditklemme zuvorzukommen und sogar für Marktstände bezahlt, damit diese weiterhin ihr subventioniertes Gemüse verkaufen können. Alles in der Hoffnung, die Wähler auf seiner Seite zu halten .

Aber das wirtschaftliche Klebeband, mit dem die Regierung vor allem die Wähler aus der Arbeiterklasse an sich „kleben“ wollte, beginnt sich langsam aufzulösen. Zahlreiche Ökonomen aus der Türkei und dem Ausland bezweifeln sogar, dass es noch bis zu den Istanbuler Neuwahlen am 23. Juni hält.

Die Entscheidung, die Wahlen in Istanbul für nichtig zu erklären, wurde von einer von Erdogan kontrollierten Gerichtsbarkeit getroffen. Der Vorwand: angeblich seien einige Wahlbeamte illegal ernannt worden. Selbst für Erdogan-Fans eine fadenscheinige Erklärung, die sich, so sagen es zahlreiche Analysten nun gegen den einstmals so populären Präsidenten richten könnte. Die meisten Wähler haben der Opposition ihre Stimme gegeben, weil es ökonomisch einfach merklich schlecht läuft in der Türkei. Und durch die Entscheidung Erdogans demokratische Strukturen auszuhebeln, wird sich das Vetrauen der Anleger, ergo die ökonomische Situation weiter verschlechtern. Vor allem kleinere Händler bekommen die Krise voll zu spüren. Bei vielen ist der Verkauf innerhalb der vergangenen zwölf Monate um die Hälfte eingebrochen. Keiner vertraut mehr darauf, dass ihr Geld auf den Banken sicher ist. Jeder hat es lieber bar in der Tasche.

Sogar Durmus Yilmaz, ehemaliger Direktor der türkischen Zentralbank und Mitbegründer der oppositionellen IJI-Partei, sagte, es sei nun mindestens 20 Jahre her, seit Beamte das letzte Mal einen ähnlichen Versuch unternommen hätten, die türkische Lira vor dem Absturz zu stützen – und das sei damals kräftig nach hinten losgegangen. „Die Türkei hat in den vergangenen zwei Jahren ihre Zukunft verpfändet“, sagte der Finanzexperte, welcher die Zentralbank 32 Jahre geleitet hatte, der „New York Times“.

Tatsächlich gehen die Nettoreserven der Zentralbank seit September stetig zurück. Die Devisenreserven der Türkei beliefen sich Ende März auf 74 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht einem Rückgang von satten 5 Prozent gegenüber Februar. Es sei fraglich, so zahlreiche Finanzexperten und Marktsanalysten, ob die Kriegskasse ergo die Devisenreserven der Türkei stark genug sind, um einen Angriff auf ihre Währung überstehen zu können. Laut Selva Demiralp, einem Wirtschaftsprofessor an der Koc-Universität in Istanbul, haben Analysten seit März Unstimmigkeiten in den Zahlen der Zentralbank zum Zustand der nationalen Reserven festgestellt.

Einige Analysten vermuten nun, dass die türkische Regierung diskret Gelder an öffentliche Banken überweist, die dann Dollars verkaufen, um die Lira zu stützen. Damit soll der Eindrcuk erweckt werden, die Lira sei stark genug um alle künftigen Stürme zu überstehen. Doch sollten der Zentralbank irgendwann tatsächlich die Dollar ausgehen, weil sie ihnen für die instabile Lira keiner mehr verkauft, könnte die türkische Wirtschaft tatsächlich vor einem echten Zusammenbruch stehen.

Das halten Rating-Agenturen von der Türkei

Rating-Agenturen und Finanzberatungsunternehmen zählen die Türkei noch hinter dem Dauerkrisenland Argentinien mittlerweile zu den Ländern, bei denen es am wahrscheinlichsten ist, dass sie versteckt schon jetzt unter einer Währungskrise leiden. Um diesen Eindruck zu entkräften, erklärte die Zentralbank am 30. April, der Rückgang der Devisenbestände sei vorübergehend und die Reserven würden sich erholen, da eine billigere Lira den Urlaub in der Türkei und die türkischen Exporte attraktiver machen würde.

Neben der garantierten Preisstabilität versprach die Zentralbank auch, dass die Inflation in der Türkei von jetzt 20 Prozent bis Ende 2021 auf 5,4 Prozent sinken wird. Dabei zeigt die Türkei jetzt schon sichere Anzeichen eines ökonomischen Todes-.Kandidaten: es gibt eine dramatisch ansteigende Arbeitslosigkeit sowie einen ebenso rapiden Anstieg der Not-Kredite und Unternehmensinsolvenzen. Das vielleicht Wichtigste ist aber das nachlassende Vertrauen ausländischer Investoren, das sich in dem stetigen Rückgang des Wertes der Lira bemerkbar macht.

Die China-ähnlichen Wachstumsraten, die Recep Erdogan bis vor kurzem geliefert hat, wären ohne das Geld von Anlegern, die von den hohen Zinssätzen der Türkei angezogen wurden, nicht möglich gewesen. Die sinkende Lira ist nun ein sicheres Zeichen dafür, dass sich ausländische Investoren abwenden. Die Auswirkungen sind besonders bei türkischen Unternehmen und Banken zu spüren, deren Schulden in US-Dollar bewertet werden und daher mit sinkender Lira schwerer zu bezahlen sind.

Nach Schätzungen von Fitch Ratings mussten türkische Banken Kredite in Höhe von bis zu 45 Milliarden US-Dollar aufnehmen. Und diese Kredite müssen auch in US-Dollar zurückgezahlt werden. Doch Recep Erdogan ist nach wie vor wild entschlossen, Istanbul unter der Kontrolle seiner Partei zu behalten, und scheint für dringend benötigte Reformen absolut nicht bereit zu sein.
Wirtschaftsreformen hat Erdogan schon lange versprochen, doch seine Regierung doktert an den Symptomen herum, ohne sich mit den zugrunde liegenden Problemen zu befassen.

Dazu gehören eine übermäßige Abhängigkeit von Krediten aus dem Ausland sowie zu viel Geld für Bauprojekte und nicht genug für Schulen und Universitäten, um qualifiziertere Arbeitskräfte hervorzubringen. Sogar unzufriedene Mitglieder der Partei von Recep Erdogan sagen, dass der Präsident von der Wirtschaftlichkeit seiner frühen Regierungszeit abgewichen ist.

Auch enge Wegbegleiter des Präsidenten fordern mittlerweile ganz offen eine strengere Geldpolitik, eine straffere Haushaltspolitik und eine kohärente Inflationsbekämpfung. Ebenso wichtig seien Reformen der Rechtsstaatlichkeit und bessere Beziehungen zu Europa.

Doch Redep Erdogan kontrolliert immer noch eine gewaltige Mäzenatentum-Maschine, und seine politische Basis hat auch schon zuvor wirtschaftliche Turbulenzen durchgemacht.

Auf der anderen Seite versucht der einstmals ökonomisch so smarte Recep Erdogan der Politik den Vorrang vor der Wirtschaft zu geben. Um sich das allerdings leisten zu könne, bräuchte es in den kommenden Monaten ein regelrechtes Wunder. So wie es jetzt aussieht, wird der wirtschaftliche Handlungsspielraum von Präsident Erdogan in der Türkei von Tag zu Tag kleiner. Und noch dieses Jahr wird er für seine Versäumnisse und Fehlentscheidungen die Rechnung bezahlen müssen.

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Florian kommt aus Niedersachsen und beschäftigt sich seit rund 10 Jahren intensiv mit der Börse. In seiner Anfangszeit reizten ihn eher spekulative Wertpapiere, mit den Jahren wurde das Interesse an soliden Dividendentitel immer größer. Florian betreibt schon seit mehr als 10 Jahre erfolgreich unterschiedliche Finanz- und Wirtschaftsportale und interessiert sich für Immobilien als Geldanlage.